How many people?
Die Standardstrecken im Bereich der Swell waren uns ganz gut bekannt. Vom Inneren her hatten sie uns auch an den Muddy Creek geführt. Zum einen im Bereich der Tomsich Butte - Reds Canyon Loop - und zum zweiten über den Trail zur Hidden Splendor Mine, von der einige Gebäude am Ufer des Muddy Creek erhalten blieben. Dort wo der Fluss sich anschickt, das Reef zu durchschneiden. Eine dramatisch schöne Lage, die den Minern in den 1940er/50er Jahren aber vermutlich ziemlich egal war. Es gab Wasser - das war wichtiger!
Wir waren schon einmal den schwachen Spuren über den Fluss gefolgt, hatten nach kurzer Strecke aufgegeben. Dann ein zweiter Versuch!
Beim ersten Mal erwischten wir anscheinend die falsche Spur. Dieses Mal sind wir besser. Ein schwach ausgebildeter Trail führt uns wiederum in den Fluss, durch eine Furt auf die andere Seite. das soll sich auf kurzer Distanz mehrfach wiederholen. Die Szenerie im Canyon ist spektakulär!
Dann eine Biegung des Canyons. Dahinter ein abgestürzter Felsblock, der das Wasser aufstaut. oberhalb des Hindernisses kann man das Flüsschen nicht überqueren. Das Wasser ist einfach zu tief.
Unterhalb? Auch das sieht fragwürdig aus. Zwischen Block und linker Felswand ist zwar ausreichend Platz für unser SUV, aber der Boden macht einen weichen Eindruck. Wir testen zu Fuss! Ok, das wird tragen. Nach wenigen Metern kommt erneut Kies und eine weitere Querung des Creeks. Guten Mutes starten wir! Herum um den Fels, etwas nach rechts und durchs Wasser.
Das wars dann auch schon! Unser Fahrzeug sinkt bis zur Bodenplatte in weichen, wasserführenden Kies ein. Wie Treibsand, nur grobkörniger. Wir erreichen das gegenüber liegende Ufer nicht richtig, sitzen völlig fest! Nur von den rechten Türen aus kann man einigermassen trocken aussteigen!
Eine erste Besichtigung macht die prekäre Lage deutlich. Mit Motorkraft wird sich das Fahrzeug nie und nimmer befreien können! Graben? Nicht so einfach im Kies eines Flüsschens. Gerade ausgehoben, ist das gegrabene Loch schon wieder zugespült! Was tun?
Halt, da hatten wir doch noch vor den Minengebäuden ein Zelt gesehen! Klar, es war Samstag und vermutlich campten locals hier draussen. Vielleicht konnten wir dort Hilfe bekommen. Herausziehen durch ein zweites Fahrzeug - das war unsere Idee einer Problemlösung! Wir waren sehr unerfahren, was diese Situation betraf.
Rucksack umgeschnallt, Wasser und etwas Essbares rein und ich ziehe los. Lady bleibt am Fahrzeug. Tatsächlich treffe ich nach gut einer Meile auf Zelt und Bewohner. Familie Sullivan aus Salt Lake City, die hier mit ihren Kindern eine Woche Ferien machte. Ihr Fahrzeug: ein Isuzu Trooper, bekannt für seine Offroad-Qualitäten.
Ein freundlicher Empfang. Ich schildere unser Missgeschick! Dick Sullivan erklärt mir, er habe auch schon überlegt, in die Schlucht zu fahren, sich aber nicht getraut. Und nun, nach meiner Erzählung, würde er es auch nicht wollen, denn sie wären hier mit 3 kleinen Kindern und wenn er auch hängenbliebe, wäre die Familie in wirklichem Trouble! Man kanns ihm nicht verdenken, er hat ja recht!
Aber er habe eine Idee. Er wisse, dass sich dieses Wochenende hier in der Gegend eine Gruppe Environmentalists träfe, - oben auf dem alten Landing Strip. Kein Problem, den kannte ich. Eine Meile entfernt, das war schnell gelaufen. Nein, nicht laufen meinte Dick, da würde er mich selbstverständlich hinfahren. Toll!
Oben auf dem Landing Strip standen vielleicht 50-60 Fahrzeuge aller geländegängigen Kategorien. Schnell erklärte sich der Besitzer eines Suzuki bereit, mitzukommen und mit Tat und Zugkraft zu helfen. Klasse!
Als wir bei unserem Explorer ankommen sehe ich, was Lady zwischenzeitlich vollbracht hat. Einen Kiesdamm um das Fahrzeug aufgeschüttet und so das Durchlaufen des Wassers erheblich reduziert! Im Wasser stehen wir aber immer noch!
Der Suzuki kommt gut ans andere Ufer, setzt sich vor uns. Stahlseil raus und festgemacht! Und dann drehen beim Suzuki alle 4 Räder hilflos durch. Zu fest sitzt die Last, zu leicht ist der Suzuki! So gehts nicht! Der Besitzer will wenigstens etwas Gutes tun, schenkt uns noch eine zweite Schaufel!
Zurück zum Landing Strip. Da steht ein schwerer Jeep mit Seilwinde, das ist mein nächster Kandidat. Der Besitzer: Ein älterer Herr von 78, der hier zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund - Jim and George! - im Sommer die Gegend unsicher macht! Die beiden sind sofort mit von der Partie. Zwar ist George schlecht zu Fuss, aber er soll uns ja nicht persönlich rausziehen!
Schlecht für uns, dass auch der starke Jeep scheitert! Selbst der vereinte Einsatz von Motor und Windenkraft bringt unser Fahrzeug nicht aus dem Kies. Wir vereinbaren zu graben soviel es geht und die beiden wollen am nächsten Morgen zurückkommen und es erneut versuchen.
Gesagt, getan - wir schaufeln zu zweit tonnenweise Kies, zuletzt beim Licht unserer elektrischen Lampen, schlafen schlecht hinten auf der Ladefläche. Zum einen ist es elend kalt, zum anderen kein gutes Gefühl in einem Box Canyon zu stehen. Was ist, wenn es regnet? Dann spült es uns eventuell einfach weg!
Die nassen Klamotten aus, Isomatten unten, Fleecedecke und Isolierdecken oben drüber. Verdammt - keine Kopfkissen! Mitten in der Nacht muss ich mal für kleine Jungs! Draussen trifft mich die Eiseskälte - wir haben nur noch knapp über dem Gefrierpunkt. Aber über uns ein atemberaubender Sternenhimmel - soweit es die hoch aufragenden Canyonwände zulassen! Drinnen im Auto ist es zwar wärmer, aber ich zittere, als ob ich Schüttelfrost hätte.
Am nächsten Morgen sind wir früh draussen. Meine Idee - zur Mine laufen; Bretter besorgen zum Unterlegen! Nur halb nachgedacht! (Wie drunter kriegen?) Gesagt, getan! Wir sind gerade wieder am Auto, da kommen unsere Retter: Jim and George! Aber es hilft nichts, wir sitzen schon wieder tief im Kies und das Auto sinkt offenbar immer mehr ein! Hier muss schweres Gerät ran! Die Beiden nehmen uns mit! Bei den Sullivans machen wir Station, berichten. Nach der kalten Nacht tut ein heisser Kaffee gut! Mr. Sullivan versucht mit seinem Kurzwellen-Funkgerät ins Telefonnetz zu kommen, aber selbst oben auf einen Hügel gelingt keine Verbindung!
Jim bespricht mit George das weitere Vorgehen. Eigentlich wollten sie ja weiter in Richtung Capitol Reef. Hilfe in Hanksville? Möglich, aber an einem Sonntag eher schwierig! Zu klein, der Ort! Alle raten ab. Also dann lieber Green River. Dort gibts mehrere Bergefirmen. Wegen der Interstate! George soll uns mit seinem VW-Bus(!) hinbringen. Die beiden alten Herren verabreden einen Treffpunkt für später am Tag!
George ist zwar etwas gehandicapt beim Laufen, aber das tut seinen Fahrkünsten keinen Abbruch! Mit dem alten Bully driftet er gekonnt auf Schotter und Dirt, dass mancher Jüngere nur staunen könnte. In seinem aktiven Berufsleben war er mal Arzt!
In Green River gehts zur S & S Garage! Chef Pete ist persönlich da. Was ist passiert? Wo? Ok, natürlich kann er uns helfen, wird das Fahrzeug rausziehen. Allerdings stehen wir in 66 Meilen Entfernung! Er kommt mit einem alten Chevrolet Pickup. Kein Abschleppwagen? No, der hier wäre mit seinen 420 PS besser für die Aufgabe. Hinten auf der Ladefläche die übliche Werkzeugbox und einiges "Gerümpel". Er tankt noch, ich versorge uns mit Coke und Chips!
George hat Lady unterdessen zum Essen eingeladen. Eigentlich müsste es ja umgekehrt sein, aber ganz Gentleman besteht er darauf! Schliesslich sei er es, der so etwas zum Erzählen nach Hause bringe. Etwas abgerissen sieht der alte Knabe ja aus, aber in den USA ist das weniger wichtig. Lady kennt das Tamarisk. Trotzdem schaut die Bedienung - man war zu dem Zeitpunkt dort gut noch mormonisch! - etwas merkwürdig! George bemerkt das auch, zieht ein dickes Bündel Greenbacks aus der Tasche. Augenblicklich ist die Situation geklärt!
Los gehts! Unterwegs fragt Pete nochmal nach dem Standort. Hidden Splendor Mine. Klar, kennt er, da war er mal als Kind! Und dort unten hat er auch schon mal einen Wagen aus dem Creek geborgen. Das habe aber erst in 2. Anlauf geklappt - er habe den Caterpillar holen müssen. Ansonsten ist er eher maulfaul.
Der Mann macht mir Mut - 66 Meilen mit dem Caterpillar! Ich lotse ihn über die I 70 und dann auf Dirt durch die Swell. Langsam taut Pete auf, als er merkt, dass ich mich auskenne. Unterwegs unterhalten wir uns noch ein bisschen, warum wir uns hier rumtreiben, wo wir her sind? Deutschland! Schon mal gehört, aber wie gross ist das denn? Ich sage: "So ungefähr wie Utah und Arizona zusammen!" Ok, das sagt ihm was! Ja und wieviele Menschen denn da leben würden? "80 Millionen!" Sein Kopf wendet sich urplötzlich und es schiesst aus ihm heraus: "How many people?" So viele Menschen auf so wenig Raum, das ist ihm schlicht unbegreiflich! Er wird noch zweimal fragen, bevor wir angekommen sind.
Dann der Landing Strip. Die Gruppe ist längst weg, alles wieder einsam! "Da runter zum Fluss?" "Da runter!" Die Familie aus Salt Lake hat auch die Heimreise angetreten. "Further down?" fragt er am Fluss. "Yes, half a Mile!" Er überquert den Creek. An der nächsten Furt wiederholt sich die Prozedur mit dem Fragen und das geht so an jeder Ecke weiter. Mich beschleicht das Gefühl, ihm ist auch nicht ganz wohl in seiner Haut.
Wir kommen an die Ecke, an der der grosse Fels liegt, hinter dem unser Auto festsitzt. "Weiter?" "Weiter, aber nur noch 100 Yards!" Und dann erzählt mir Pete, genau hier sei es gewesen, wo er das andere Fahrzeug mit dem Caterpillar bergen musste. Den Spruch hab ich jetzt gebraucht!
Wir fahren ums Eck, sehen unser Fahrzeug! Ohne Umschweife fährt er dran vorbei, stellt den Pickup mit dem Heck zur Front unseres SUV, "Uh, there are some planks! That helps!" ich erzähle ihm, die hätten wir von der Mine geholt. "Good idea!"
Auf der Ladefläche liegt ein Monster von Bumper Jack, jenen Ratschenwagenhebern, die bei älteren US-Fahrzeugen einfach an den stählernen Stossstangen angesetzt wurden. Unser SUV ist auch noch aus dieser Generation und das ist jetzt gut so! Die Front wird angehoben, bis die Räder einiges über den Kies in der Luft hängen. Pete legt Bretter unter, senkt den Wagen darauf ab. Durch die Lastverteilung trägt der Kies nun das Fahrzeuggewicht.
Ich frag ihn, ob ich die Hinterräder freigraben soll? "Forget about it - digging doesn`t help!" Ok, er muss es wissen!
Pete kramt zwei Stahlseile und einen alten Autoreifen hervor. Ein Seil macht er links an der Vorderachse unseres Autos fest, zieht es durch den Reifen, befestigt das andere Ende rechts an der Vorderachse. Das zweite Seil kommt an die Anhängerkupplung des Pickups, wird ebenfalls durch den Reifen gezogen und mit dem anderen Ende nochmals an der Kupplung befestigt. "Shock absorber" - dabei deutet er auf den Reifen.
Ich soll einsteigen, den Motor anlassen, Gang einlegen. Aber kein Gas geben, bis ich merke, dass sich das Fahrzeug durchs Ziehen bewegt. Gesagt, getan! Langsam fährt er mit dem Pickup an bis die Seile sich gestrafft haben. Dann gibt er gefühlvoll Gas, die 420 PS ziehen die Fuhre aus dem Kies als ob sie nie ernsthaft festgesessen hätte! Meisterhaft! Und nun?
Pete fängt an einzuräumen. Helfen lässt er sich dabei nicht! Meint nur "fahr schon mal vor, Du bist schneller mit deinem kleinen Auto. Wir treffen uns bei S & S im Office!" Sowas kanns nur hier geben! In Deutschland hätte mich kein Abschlepper so einfach ohne Sicherheiten ziehen lassen!
Zurück nach Green River. Ohne Panne! Ich fahr zum Office, warte auf Pete. Der kommt ca. 20 Minuten später, sperrt auf, kramt nach einem Rechnungsblock. "Are you a triple A member?" Yes, bin ich! "Ok, saves you some bucks!" Er nimmt meinen AAA-Ausweis und rechnet los! Das dauert ein wenig. Offenbar ist Pete beim Bergen besser als mit der Buchhaltung (die, wie ich später lerne, normalerweise seine Frau erledigt).
Zwischendurch noch andere Kundschaft. Ein Paar hatte mit seinem RV auf der I 70 Pech. Kapitaler Motorschaden! Sie wollen wissen, wie es weitergeht? Zu S & S gehört neben der Abschlepperei auch noch ein Truck Repair Shop und ein Schrottplatz. Leben tut man zur Hauptsache von der I 70. 100 Meilen nach Grand Junction, 110 Meilen nach Salinas. Und keine weitere Hilfe dazwischen! Solche Künstler wie ich sind nur Zubrot! Für die beiden Pechvögel hat er sogar eine Auswahl anzubieten. Zwei passende gebrauchte Maschinen, eine grössere und eine etwas leistungärmere. Das wäre genug, entscheiden die Beiden und nehmen den kleineren Motor. Morgen Abend soll das RV wieder on the road sein.
Die Tür geht auf, ein junger Mann kommt rein. Pete´s Sohn! Er stellt uns vor. ";My son!" und "A guy from Germany!" Und dann platzt es aus ihm raus: "Ask' em how many people they are in Germany?" Das hat er offenbar noch immer nicht verdaut!
Aber eines hat er mir dann doch noch erzählt - warum der Caterpillar notwendig wurde. Der Fahrer des anderen Fahrzeugs hatte versucht, den entscheidenden Felsblock auf der anderen Seite zum umfahren und dabei sein Auto sozusagen versenkt! Bis Hilfe aus Green River kam, hatte der Creek das Fahrzeug schon teilweise zugeschwemmt. So musste die Raupe ran. Ob es sich noch gelohnt hat?
Die Rechnung! Billig würde es nicht werden, das war klar! Aber wieviel? 6 Stunden Arbeit am Sonntag, gute 130 Meilen Fahrt. Abzüglich AAA-Rabatt bleiben knappe 500 $. Credit Card? Was sonst! Unterschrift, mir bleibt nur noch, mich zu bedanken! Den Tag werden wir beide wohl nicht so schnell vergessen! Ich wegen des Tricks mit dem Bumper Jacks, Pete wegen der Millionen!
Wo ist Lady? Hoffentlich noch immer im Tamarisk! Ich fahr rüber über den River, parke vorm Restaurant. Lady wartet schon. George hatte sich auf den Weg machen müssen um seinen Kumpel Jim zu treffen. Was er sich nicht nehmen lies, keinen Widerspruch duldete - alles musste auf seine Rechnung gehen! Old school!
Noch eine Stunde bis Moab! Hundemüde sinken wir in die Betten! Warme, trockene Betten!
Nachtrag:
So unangenehm die Situation auch war, sie hat sich als sehr lehrreich erwiesen. Nicht nur, dass wir unsere Ausrüstung veränderten und ergänzten, sondern ganz besonders interessant war es, Pete zuzusehen wie er gelassen ans Werk ging und was er tat! Auto ausgraben? Bullshit!
Bei unseren Helfern haben wir uns später mit einem Weihnachtsgeschenk aus Good ol' Germany bedankt! Ohne sie wäre es ein langer Fussmarsch nach Hanksville geworden. 25 Meilen! Und wir hatten verdammt viel Glück, an einem Wochenende da draussen gewesen zu sein!´
Ein paar Jahre später werden wir es schaffen, die ganze Strecke durch die Schlucht zu fahren. Vielleicht hatten wir beim Muddy Creek noch etwas gut?