Auch Lady bekommt Lust zum Schreiben:
Sisyphos?
Es ist Freitag, wir haben länger geschlafen, gemütlich gefrühstückt, die Betten frisch bezogen und unsere Vorräte incl. Benzin aufgefüllt. Wir kommen spät aus dem Haus, es ist sonnig mit ein wenig Wolken und hat 33 Grad Celsius. Wir wollen nahe bei Moab etwas unternehmen und Rolf schlägt vor, dass wir zur Power Pole Mesa fahren.
Wir sind bereits abseits des Teers, ich genieße gerade die Landschaft und die Einsamkeit, plötzlich zeigt Rolf mir ein Feature am Horizont und da passiert es, Henry rutscht vom Weg ab und wir hängen vorne links im Graben, hinten links rutscht er auch etwas in diese Richtung. Gas geben und Gegenlenken bewirkt nur, dass wir noch weiter in die Schräge des Grabens rutschen, also Bremse anziehen, Motor aus - das Tiltmeter zeigt 36 Grad Schräglage!
Mir ist klar, dass dies nicht unbedingt Rolf Lieblingssituation ist - festgefahren und gleichzeitig der schräge Stand des H3 - ein Albtraum - nur leider wahr. Wir steigen aus und schauen uns die Situation an, ich schlage vor, was wir alles tun könnten und Rolf stoppt meinen Aktionsdrang mit dem Hinweis, dass er jetzt erst mal darüber nachdenken will, wie wir hier am besten wieder rauskommen.
Also bin ich still, schaue mir die Landschaft und das Wetter an, am Horizont kommen dunkle Wolken auf uns zu. Da ich eine absolute Spezialistin im Worst- Case-Denken bin, sehe ich unser Auto schon wie in dem Film "Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten" in den Fluten des Grabens schwimmen. Aber erstens ist es noch nicht so weit, zweitens stehen wir in keinem Wash und Drittens erzähle ich dies jetzt besser nicht.
Dann kommt Rolfs Vorschlag, ich soll auf der Fahrerseite einsteigen, da ich ein wenig leichter bin, könne es sein, dass die 36 Grad schlagartig auf - keine Ahnung was - zurück gehen. Ich denke, dass dies nichts nützen wird - ich kenne mein Gewicht -; und tatsächlich, es ändert sich nichts. Seine nächste Idee wird sofort umgesetzt und nacheinander werden die beiden rechten Reifen von ziemlich viel Luft befreit. Meine Gedankengänge sind schon wieder in die Zukunft gerichtet und ich frage mich, wie wir mit diesem geringen Luftdruck und nur einem Reservereifen zurück nach Moab gelangen. Aber dann fällt mir ein, dass wir ja einen Kompressor mitführen, der die Reifen - mit viel Zeit und Geduld - aufpumpen wird.
Ich gebe die aktuellen Winkel an Rolf weiter und bei 30 Grad hört er erst mal mit dem Luft ablassen auf. Ich steige aus, was in dieser Situation nicht ganz einfach ist und bekomme den Auftrag große, flache Steine zu sammeln. Mit dem außen an die Felge angesetzten Wagenheber wird der Reifen hochgesetzt und darunter ein oder mehrere flache Steine gelegt. Dies wird mit viel Geduld solange wiederholt, bis das Tiltmeter nur noch 10-12 Grad anzeigt.
In dieser Zeit kommen die dunklen Wolken immer näher und es fängt an zu regnen. Rolf ist durch das Auto unten im Graben relativ geschützt, aber mir läuft der Regen in die Klamotten (Regenkleidung haben wir nicht dabei), meine Schuhe und die Jeans nehmen die Farbe des Schlammes an. Ich suche jetzt also im Regen nach großen Steinen, die ich in das Loch neben dem linken Hinterreifen werfe, damit dieser nicht in den Graben rutscht, wenn wir das Auto heraus fahren. So klein dieses Loch für mich aussieht, die Steine wirken noch kleiner und ich denke an Sisyphos.
Zwischendurch schaue ich nach dem Wetter und sehe einen wunderschönen Regenbogen und weise Rolf darauf hin. Seine Antwort war sinngemäß "ich habe hier ein Problem zu lösen und der Regenbogen interessiert mich im Moment überhaupt nicht".
Irgendwann habe ich gefühlte Tonnen von Steinen angeschleppt, der Regen hat aufgehört, Henry steht mit seinem linken Vorderrad auf einem Steinhaufen, das Tiltmeter zeigt 10 Grad. Ich frage mich, wie der Hummer von seinem Steinhaufen auf den Weg kommen soll, denn zwischen linken und rechtem Rad ist der Graben, das Auto steht gerade zu einem Hang und der Weg, auf den wir wollen, geht rechts in eine Kurve über. Rückwärts geht auch nicht, da hinten unter dem Auto zu viel Erde drunter ist, abgesehen davon, ist der Untergrund des Weges locker und rutschig. Die einzige Möglichkeit ist, in den Hang zu fahren und dabei aufzupassen, dass der rechte Reifen nicht in den Graben rutscht, sondern über einem Damm aus Steinen, die noch zu sammeln sind, zu fahren. Also Steine aus dem weiteren Umfeld holen, denn die aus der näheren Gegend sind ja bereits neben dem linken Hinterrad.
Dann kommt der Satz, den ich schon befürchtet hatte: "Setz Dich ans Steuer und fahr Henry raus". Jede Weigerung meinerseits wird mit dem Satz beendet, dass er draußen schauen muss, wie sich Auto und Untergrund verhalten, um mir bei Bedarf entsprechende Hinweise für die Fahrtrichtung und Tempo zu geben und deshalb nicht gleichzeitig fahren kann. Zugegeben, da hat Rolf einfach das bessere Talent -; sein räumliches Denken ist ausgeprägter als meins - und ich gebe mich geschlagen!
Mit mulmigem Gefühl setze ich mich ans Steuer. Die Vorgaben lauten: gerade Fahren mit wenig Gas bis zu dem großen Fels, dann nach rechts lenken und mit Schwung auf den Hügel und vor dem großen Busch stehen bleiben - dann sehen wir weiter. Und genauso mache ich es und bin auf dem Hügel gelandet.
Wunderbar -; nächstes Problem - vor mir steht ein großer Busch, neben mir ist ein großer Fels, rechts der Graben und hinter mir - na, dass ist ja bereits bekannt. Nächster Schritt, Rolf holt die Säge aus dem Auto, sägt den Busch ab und ich fahre auf die nächste Felsstufe. Von dort aus legen wir die Strecke, die bis auf den Weg führt, fest. Der Untergrund ist locker und ich will nur noch eins, endlich auf den Weg und nicht stecken bleiben. Also Gas - Augen zu geht nicht! - und durch und ich schaffe es und bin froh und glücklich darüber.
Beim Aussteigen fällt die Spannung von mir ab und meine Knie zittern. Henry ist wieder auf der Spur, hat keinen Schaden genommen, aber dann fallen mir die beiden fast platten Reifen ein. Das Abenteuer ist noch nicht zu Ende. Wir sammeln erst mal alles ein, was so an Equipment rum lag. Dann kommt der Kompressor zum Einsatz und gibt nach einiger Zeit seinen Geist auf.
Mit nur wenig Luft (22 und 14 psi anstelle von 35) auf den beiden rechten Reifen - den Ersatzreifen haben wir nicht aufgezogen, falls wir ihn (hoffentlich nicht!) noch dringender brauchen sollten - fahren wir zur UT 128 und dann mit maximal 25 Meilen pro Stunde nach Moab.
Nach eineinhalb Stunde für 32 Meilen sind wir endlich an der Maverick-Tankstelle und tanken Luft. Wir stellen fest, dass wir durstig und hungrig sind - in dieser Reihenfolge - und entscheiden uns für kaltes Bier und heiße Pizza aus dem Backofen in unserem Haus. Danach falle ich hundemüde ins Bett und bin froh, dass ich nicht die Nacht im Auto im Graben verbringen muss - wie schön ist so ein warmes, weiches Bett nach so einem Tag!
Und um allen Missverständnissen vorzubeugen, in solchen Situationen hat jeder von uns beiden seine Stärken, die sich ideal ergänzen und diese werden kompromisslos genutzt, denn sonst hätten wir in der Vergangenheit so manches Desaster erlebt.
Antje Lampert 2010