Letzte Aktualisierung: 25 Sep 2015

Gesundbrunnen

Seit 2003 fahre ich auf dem Weg zu meiner Arbeitsstätte durch das enge Tal, das die beiden Bensheimer Ortsteile Hochstädten und Auerbach miteinander verbindet. Anfangs lag da noch die Fabrik "Marmorit", die Putze herstellte. Ein alteingesessener Betrieb, in dem seit 1865 der im Berg vorhandene Marmor abgebaut wurde. 1975 endete der Abbau.

Dann im Jahr 2008 schloss das Werk, wurde kurz darauf demontiert. Lange Zeit standen noch die traurigen Reste eines stark in Mitleidenschaft gezogenen Gebäudes, die ehemalige Kantine des Unternehmens. (Es soll möglicherweise Dorfgemeinschaftshaus werden.) Die entstehende Wüstenei war unansehnlich bis hässlich.

Zwei Jahre später wurde der Weg hinter der Kantine plötzlich wichtig und eine überregionale Berühmtheit. Die Hauptstrasse im Ort sollte saniert werden und damit voll gesperrt. Hochstädten war quasi abgeschnitten, die Menschen mussten teilweise 20 Kilometer Umweg in Kauf nehmen, um 2 Kilometer weit zu kommen. Die Stadt Bensheim weigerte sich, einen guten Forstweg, der nur ein kurzes Stück tatsächlich durch Wald führt, als provisorische Zufahrt freizugeben.

Die Hochstädter erwiesen sich als aufmümfig und kreativ zugleich. Sie beschlossen, ihre eigene Umleitung zu bauen! Private Grundstücke waren vorhanden, es sollte eine Schotterpiste entstehen, die hinter der alten Kantine wieder zurück auf die Kreisstrasse führte.

Sowas ist natürlich streng verboten - wo käme man schliesslich in Deutschland hin, wenn sich Bürger selbst eine Strasse bauen dürften?

Man wusste sich gegen die Bürokratie zur Wehr zu setzen, gründete eine Bürgerinitiative und diese eröffnete auf den privaten Grundstücken eine "befahrbare Kunstausstellung" nach den 3. Absatz im 5. Artikel des Grundgesetztes: " Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei". Nachdem über die Aktion bundesweit im Fernsehen (ZDF, Hessischer Rundfunk, Vox u.a.) berichtet wurde, war von den Bürokraten nichts mehr zu sehen und zu hören. Die Aktion wurde übrigens ein voller Erfolg, sogar ein Gewinn sprang heraus. Die Durchfahrt kostete 1 Euro einzeln, deutlich weniger als die Fahrzeug-Betriebskosten auf der langen Umfahrung, vom Zeitgewinn ganz zu schweigen. Man konnte auch Dauerkarten erwerben. Die Vignette klebt bis heute an der Windschutzscheibe meines Autos.

Aber wieder zurück.

In 2012 traten erneut Handwerker auf den Plan, diesmal in einem "Loch im Boden" wenige Meter neben der Kreisstrasse. Was war da zu finden? Neun Jahre lang war ich hier entlanggefahren ohne etwas Aussergewöhnliches zu bemerken.

Dort findet man den 1784 erbauten Gesundbrunnen. Im Rokoko-Stil hat man hier eine eisenhaltige Quelle gefasst, die über zwei Wasserspeier das als gesundheitsfördernd geltende Nass spendet. Die Anlage muss im Zusammenhang mit dem etwas weiter westlich in einem Seitental gelegenen Fürstenlager gesehen werden, das ursprünglich als Kurbad gedacht schnell von den Hessischen Landgrafen als Sommersitz genutzt wurde. Zwischen dem Lager und dem Brunnen gab es Spazierwege. Die nahe gelegene Brücke über den Auer-Bach trägt die Jahreszahl 1783.

Man hatte sich lokal einiges von dem Brunnen erhofft. Die Erwartungen erfüllten sich aber nicht. Schon nach ca 50 Jahren wurde er bedeutungslos. Im früher 20. Jh. versiegte der Brunnen, geriet schon fast in Vergessenheit. 1961 reparierte man einiges, sicherte die rund zwei Meter tief liegende Brunnenanlage mit einem Geländer ab. Das Versiegen wird mit dem Marmor-Abbau in direkter Nachbarschaft in Verbindung gebracht.

Photos 900 Px
Gesundbrunnen
Die Brunnenanlage

Die aus einem Mühlstein gefertigte Tisch in der Mitte der Anlage diente zum Abstellen der Trinkgefässe. Ringsum verlaufen steinerne Sitzbänke. Leider kann man das Kanalsystem, durch dass das Wasser abgeleitet wird, nicht erkennen, da man einen sandigen Boden eingebracht hat. Originalzustand?

Während der Restaurationsarbeiten in 2012 lagen die gemauerten Kanäle frei. Meiner Ansicht nach hätte man diesen interessanteren Zustand erhalten sollen. Eine Aufnahme des Zustands findet man auf der Geopunkt-Tafel des Geo-Naturparks Bergstrasse-Odenwald.

Wasserspeier
Dieser Wasserspeier ist trocken
Wasserspeier Gesundbrunnen
Hier lief im Frühjahr 2013 wieder Wasser

Die Anlage wird gelegentlich auch als Goethebrunnen bezeichnet. Ob Goethe jemals vor Ort war ist nicht belegt. In seinem Werk "Hermann und Dorothea" wird allerdings ein sehr ähnlicher Brunnen beschrieben. Gut möglich dass er ihn kannte.

Geopunkt Gesundbrunnen
Geopunkt-Beschilderung gegenüber der Eingangstreppe. Bild der Kanäle.

Der ehemals hier abgebaute Marmor soll von hoher Qualität gewesen sein, die Lagen allerdings oft nicht sehr mächtig. Der unrühmliche Teil der Geschichte: Das Werk war ein Aussenlager des Konzentrationslagers Struthof im Elsass. Eine Anzahl zur Hauptsache griechischer Häftlinge starben an den unmenschlichen Bedingungen.